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Die Angst vor dem Burnout

Eine Nachricht mit Schock-Potenzial: 61 Prozent der Arbeitnehmer/innen sehen sich gefährdet, an Überlastung zu erkranken. So die Studie "Arbeiten 2023" der Versicherung Pronova BKK, bei der 1.204 Erwachsene befragt wurden.


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Vor allem Stress durch Überstunden und Termindruck, ständige Erreichbarkeit, Schichtarbeit und die schlechte Vereinbarkeit von Familie und Beruf sind laut Studie die Hauptgründe für die Ängste.


Die Folge: 2023 gab es 20 Prozent mehr Burnout-Fälle unter den Pronova-Versicherten. Die Versicherung fordert daher von den Firmen mehr Engagement bei der Gesundheitsvorsorge im psychischen Bereich. Burnout droht sich spätestens nach der Corona-Pandemie zur flächendeckenden Volkskrankheit auszuwachsen. Im Schnitt fehlen Betroffene rund 30 Tage pro Jahr am Arbeitsplatz.


Jetzt aber das Verwunderliche: Offiziell wird Burnout gar nicht als eigenständige Krankheit anerkannt! Burnout findet sich im ICD 10, wonach Ärzte und Psychotherapeuten Krankheiten klassifizieren und diagnostizieren, nur unter der Zusatzcodierung Z73. Burnout gehört damit zu den "Problemen mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung".


Allein mit dieser Diagnose wird aber niemand krankgeschrieben. Obwohl doch die Stress-Symptome von vielen Betroffenen psychisch und physisch durchlebt werden: Energielosigkeit, Erschöpfung, eine negative Haltung zum Job, ein Gefühl der mangelnden Leistungsfähigkeit usw.


Was ist da los? Die Burnout-Fallzahlen und -Ängste nehmen zu, obwohl es die Krankheit als solche gar nicht wirklich gibt? Die medizinische Antwort darauf: Ja, die stressbezogenen Erkrankungen im Arbeitsumfeld nehmen zu. Aber es handelt sich um "klassische" Erkrankungen oder psychische Störungen, die weit weniger emotional aufgeladen sind als die fast allgegegenwärtige "Burnout"-(Selbst-)Diagnose: Wer meint, "wegen Burnout" krankgeschrieben worden zu sein, wird eine andere Hauptdiagnose auf dem Krankenzettel finden: eine depressive Störung (zum Beispiel Erschöpfungsdepression), eine Anpassungs- oder Somatisierungsstörung. Vielleicht spielt auch Substanzmissbrauch (Alkohol, Medikamente) eine Rolle ... Nicht zu vergessen eine Reihe von körperlichen Erkrankungen wie Diabetes, Niereninsuffizienz, Schilddrüsenfehlfunktion usw., die ebenfalls "Burnout-ähnliche" Symptome hervorrufen können. Gerade weil die Burnout-Symtome so vielseitig und unterschiedlich zu sein scheinen - es wurden mehr als 100 gezählt -, scheuen sich die Mediziner, Burnout als eigenständige Krankheit anzuerkennen.


Verlassen wir hiermit den medizinischen Kontext. Warum ist das "Phänomen Burnout" dennoch so präsent, wenn es medizinisch doch so schlecht greifbar zu sein scheint? Mir scheint "Burnout" eine geeignete Chiffre zu sein, um berechtigte Kritik auszudrücken.


Burnout ermöglicht es, das persönliche Erleben struktureller Probleme und Ungleichheiten sagbar zu machen, ohne sich dabei als unmotiviert zu outen oder sich in uferlose akademische Diskussionen zu verstricken. Burnout als Zeitdiagnose macht auf die negativen Auswirkungen von übermäßigem Dauerstress und ungesunden Arbeitsbedingungen aufmerksam. Burnout ist eine Art Weckruf, für eine gesündere und nachhaltigere Lebensweise und Arbeitskultur.


Gefordert sind dabei Arbeitnehmer und Arbeitgeber gleichzeitig. Burnout als zeitkritische (Selbst-)Reflexion fordert zu einem Überdenken von Prioritäten auf. Wo werden die Grenzen des individuellen Wohlbefindens hin zu einer Selbstentfremdung in einer modernen Gesellschaft überschritten? Was sind in einer modernen Gesellschaft die notwendigen Gegengewichte, deren Wohlstand von Leistung, Produktivität und Profitabilität abhängt?


Gerade weil der Begriff "Burnout" im persönlichen Erleben so viele Ansatzpunkte für eine vielschichtige Diskussion bietet, hat er in seiner Unschärfe einen Wert. Für jeden persönlich als ehrliche Selbstüberprüfung: Was ist gut für mich? Was tut mir gut? Und für die Gesellschaft: Welche gemeinsamen Werte sind uns wichtig - und welche Strukturen schaden uns? Burnout-Diskussionen können damit helfen, Themen zu entstigmatisieren, die ansonsten in den Schatten gedrängt werden.

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